Neues aus München: Ist in Zukunft der tierärztliche Notdienst noch finanzierbar?
Unter diesem Titel fand vergangene Woche eine Veranstaltung statt, die eines unserer Mitglieder besuchte und hier kurz den Inhalt zusammenfasst. Am Mittwoch den 19.07.2017 lud die Münchner Tierärztliche Gesellschaft wieder zu einem Vortrag ein, dieses Mal mit Dr. med. vet. Anne Becher als Vortragende und einem Thema, das es in sich hat.
Entwicklung der Notdienstabdeckung
Dr. Becher ging der Frage nach, ob der tierärztliche Notdienst in Zukunft noch finanzierbar ist und zeigte dabei Möglichkeiten, Grenzen und vor allem auch bevorstehende Hürden auf. Haben wir in ein paar Jahren einen echten Notstand bezüglich der Notdienstabdeckung in Deutschland? Wenn man sich die Zahlen anschaut, die Dr. Becher unter anderem durch die Umfrage von Johanna Kersebohm vorstellen konnte, wird einem durchaus bewusst, was auf die Tierärzteschaft in den nächsten Jahren zukommt. 14% der Tierärzte sind jetzt schon über 60 und fallen in den nächsten fünf Jahren größtenteils weg.
Generation “Y”
Immer mehr Kliniken geben ihren Status momentan zurück, damit sie keinen 24 Stunden Notdienst mehr anbieten müssen. Neu gegründete Praxen gehen vor allem den Weg der Spezialisierung und bieten ihre Dienste in einer Terminsprechstunde ohne Notdienst an. Zu all dem kommt, dass die Zukunft der Tierärzteschaft durch die berüchtigte „Generation Y“ gebildet wird, also Tierärzte, die nach 1980 geboren wurden – eine Generation, die nicht lebt um zu arbeiten, sondern arbeitet um zu leben. Diese prallt auf Chefs der Babyboom-Generation, die nach Ausführungen von Dr. Becher rund um die Uhr arbeitet, eigene Interessen hinten anstellt und aus Pflichtgefühl gegenüber den Kunden sowie Ermangelung eines Nachfolgers teilweise ihre Praxen bis zum körperlichen Ende weiterführen.
Eigene Lebensziele im Fokus
Zum anderen zeichnet sich die „Generation Y“ dadurch aus, dass die Familie immer wichtiger wird und deshalb vor allem Stellen in bzw. im Umland von Städten angenommen werden. Darüber hinaus sind diese jungen Menschen durch einen ausgeprägten Pragmatismus geprägt, das heißt Stellen, die nicht den Ansprüchen oder eigenen Lebenszielen entsprechen, werden nicht angenommen und bei Bedarf wird auf branchenfremde Stellen ausgewichen. Das mag so mancher dieser Generation vorwerfen, allerdings sind das alles Dinge, die in vielen anderen Branchen als Standard gelten. Wieso also nicht auch bei uns Tierärzten?
Verdienst unter Mindestlohn
In der Umfrage von Johanna Kersebohm zeigt sich, dass momentan sowohl die niedergelassenen Tierärzte als auch die angestellten Tierärzte mit ihrem Verdienst weit unter ihren humanmedizinischen Kollegen liegen. Selbst bei allen befragten niedergelassenen Tierärztinnen arbeiten 10% für weniger als den Mindestlohn pro Stunde, bei angestellten Tierärzten sind die Zahlen hingegen noch höher. Vor allem in der Pferdefahrpraxis ist das Ergebnis besonders erschreckend, denn dort ergeben sich diese niedrigen Stundenlöhne durch sehr lange Arbeitszeiten.
Nichteinhaltung des Arbeitszeitgesetzes
Aber nicht nur die niedrigen Löhne sind Ursache für die Unzufriedenheit. Auch der Konflikt mit dem Arbeitszeitgesetz wird für viele niedergelassene Tierärzte immer mehr zu einem Problem. 47% der angestellten Tierärzte arbeiten länger, als es das Arbeitszeitgesetz erlaubt. Zur Erinnerung: Legal sind acht Stunden bis maximal zehn Stunden tägliche Arbeitszeit, wenn im Durchschnitt in sechs Monaten acht Stunden eingehalten werden. Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt laut gesetzlicher Regelung max. 48 Stunden. Wobei die Umfrage zeigt, dass sich immer mehr Tierärzte (sowohl niedergelassene als auch angestellte) wünschen, eine 35-Stunden-Woche zu haben. Um dem Arbeitszeitgesetz gerecht zu werden, müssten 9% mehr Tierärzte angestellt werden. Wenn eine 40-Stunden-Woche realisiert werden soll, sind es sogar 21% mehr Tierärzte, die notwendig wären.
Lösungsansätze für Notdienstabdeckung
Das alles sind Faktoren, welche die notdienstliche Abdeckung in Zukunft sowohl finanziell als auch personell erschweren. Wie also kann es trotzdem funktionieren? Dr. Becher ist nicht umsonst Dipl.-Wirtschaftsmedizinerin und zeigte auch Lösungsansätze auf: Als die vier möglichen Modelle nannte sie eine große Einheit (tierärztliche Praxis mit mehr als vier angestellten Tierärzten), eine Klinik mit voller Auslastung (über sechs angestellte Tierärzte), eine Notdienstpraxis die nur nachts und am Wochenende offen hat und beispielsweise sich die Räumlichkeiten etc. mit einer Praxis ohne Notdienst teilt sowie einen Notdienstring mit mehr als vier teilnehmenden Praxen bzw. Tierärzten.
Finanzierung des Notdienstes
Zu klären ist bei all diesen Modellen wie kompatibel diese mit dem Tierschutz und der Verantwortung der Tierärzte sind, wenn beispielsweise der Rinderpraktiker zu einem Pferdenotfall fahren muss. Finanzieren lässt sich der Notdienst nur, wenn der Kunde der Einzelpraxis alle Kosten der Praxis (inkl. des Notdienstes) trägt. Um das zu realisieren sind bestimmte Umsätze in der Stunde je nach Notdienstmodell (siehe oben) zu erwirtschaften. Die Kollegen duften am Mittwoch diese Stundensätze in einer konkreten Kostenrechnung für mehrere Praxistypen selber ausrechnen. Eine gute Möglichkeit auch für angestellte Tierärzte zu sehen, was für Kosten rund um die Praxis anfallen. Dabei zeigten sich beispielsweise für eine große Einheit mit fünf Tierärzten im Kleintierbereich notwendige Stundensätze von ca. 127€ – 155€ oder bei einem anderen Ansatz 170€ – 200€.
Die Erhöhung der GOT um 12% ist beschlossen, das kann ein erster Schritt in die richtige Richtung sein. Zudem wird es auch notwendig sein, dass sich die Praxen in Zukunft von einem festen Satz der Abrechnung lösen. Beispielsweise sollte zukünftig auch der Zeitaufwand für Beratungen mit eingerechnet werden und entsprechend der Satz für die Behandlungen individuell angepasst werden, was viele Praxen laut Dr. Becher noch nicht tun.
Der “kleine Samariter”
Alle Teilnehmer haben von Dr. Becher noch einen „kleinen Samariter“ erhalten. Dieser steht für mehrere Dinge. Zum einen für den Grund unserer Berufswahl zum Tierarzt. Wir wollen helfen und Tiere heilen. Zum anderen für das Kapital in der Praxis. Die Kunden wollen einen Tierarzt, der sich „reinhängt“ und entsprechendes Engagement zeigt. Aber er ist auch gleichzeitig ein Grund dafür, dass viele Praxen nicht wirtschaftlich rentabel arbeiten. So wurde der kleine Samariter in der Kostenrechnung extra mit berücksichtigt, was jeder Tierarzt bei der Existenzgründung ebenfalls bedenken sollte.
Rundum war diese Fortbildung eine gelungene Veranstaltung der Münchner Tierärztlichen Gesellschaft zu einem sehr wichtigen und gesellschaftspolitischen Thema.
Vielen Dank an unsere BaT-Autorin.