Fachsymposium zu den aktuellen Herausforderungen unseres Berufsstandes
„Notfallpatient Veterinärmedizin?“ lautete der Titel des Fachsymposiums des Fachbereichs Veterinärmedizin der FU Berlin, bei dem am 14.2.2024 vom Institut für Veterinär-Epidemiologie und Biometrie, Studien zu aktuellen Herausforderungen unseres Berufsstands vorgestellt wurden.

Prof. Marcus Doherr und sein Team mit PD Dr. Roswitha Merle und Dr. Charlotte Jensen gab retrospektive Einblicke in die Ergebnisse aus Studien der letzten 10 Jahre, sowie in aktuelle und geplante Umfragen aus ihrem Fachbereich. Für den BaT e.V. informierten sich die beiden geschäftsführenden Vorsitzenden Dr. Elisabeth Brandebusemeyer und Dr. Christian Wunderlich vor Ort. Ein breites Publikum hatte die Möglichkeit via Online-Übertragung teilzunehmen.
Prof. Doherr stellte zu Beginn generelle Überlegungen zur Problematik voraus, mithilfe von Einzelaussagen, Stichproben oder Querschnittsbefragungen verlässliche Aussagen über die Zielpopulation treffen zu können, zumal generell bei Umfragen in der Tiermedizin eher eine Verzerrung in Richtung der nachrückenden Generation (jung + weiblich) erfolgt.
Mit Hauptschulabschluss Tiermedizin studieren
Spannende Einblicke in ihren ungewöhnlichen Werdegang vom Arbeiterkind mit Hauptschulabschluss über eine Lehre als TFA, hin zum erfolgreichen Studium der Tiermedizin bot Alexandra-Gloria Kracht. Sie stellte die aktuellen Zulassungsbedingungen zum Studium vor und kam zu dem Schluss, dass diese keine wesentlichen Verschiebungen bezüglich der Auswahl der Studienbewerber:innen im Hinblick auf ihren Bildungshintergrund, verglichen mit früheren Auswahlverfahren ergeben haben.
Präferenzen verändern sich während des Studiums
Während des Studiums findet viel Fluktuation in wechselnde Richtungen bezüglich der Präferenzen der Studierenden bei der Wahl ihres ersten Arbeitsverhältnisses statt. Zu dieser Erkenntnis kam Mira Riemann im Rahmen ihrer Dissertation an der TiHo Hannover zur Zukunftsplanung der Absolvent:innen 2023.
Bestand vor dem Studium zwar der Wunsch z.B. in die Kleintiermedizin zu gehen, so heißt es nicht, dass diese Personen auch nach dem Studium dieses Feld wählen. Am Schwerpunkt „Rind“ stellte sie dar, inwiefern Geschlecht, Herkunft aus der Stadt oder vom Land und weitere Faktoren die Entscheidung beeinflussen. Größten positiver Einfluss haben dabei erfolgreiche kurative Praktika und gute generelle Arbeitsbedingungen. „Hauptsache der Job ist gut“, dann wird z.B. der Ort der Tätigkeit zur Nebensache, wie 47% der Befragten angaben.
Hohe psychosoziale Belastung bei Amtstierärzt:innen
Zur hohen psychosozialen Belastung von Amts-Tierärzt:innen referierte Dr. Charlotte Jensen, die, unabhängig von Alter und Geschlecht der Befragten, über eine hohe emotionale Belastung besonders bei den Kolleg:innen berichtete, die im Tierschutz tätig sind. 57% hatten bereits Erfahrungen mit Gewaltandrohungen gemacht und 3,7% sogar mit Gewaltanwendung.
Umso erstaunlicher, dass sich nur ein geringer Zusammenhang zwischen emotionaler Belastung und Arbeitszufriedenheit ergab. Hier kommt anderen Faktoren, wie einem guten Gehalt, der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und der unterstützenden Führung durch Vorgesetzte ein höherer Stellenwert zu. Unabhängig davon werden ethische Dilemmata, besonders im Zusammenhang mit „Tierwegnahmen“ als besonders schwierig erlebt.
Wissenschaftlicher Nachwuchs wünscht sich intensivere Betreuung
PD Dr. Roswitha Merle, stellvertretende Institutsleiterin, stellte eine in 2020/21 durchgeführte Umfrage zur IWiMi-Initiative der DVG, zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses an allen fünf Hochschulstandorten, vor. Die Zahl der Promovenden liegt seit dem Jahr 2000 unverändert bei etwa 50% der Absolvent:innen.
Beim Vergleich zwischen der Beschäftigung an Kliniken zu der an Instituten, wünschen sich an letzteren 72% eine intensivere und qualitativ bessere Betreuung, an Kliniken sogar 82%. In Planung sind jährliche Umfragen nach den Zukunftsplänen des tierärztlichen Nachwuchses an allen fünf Universitäten mit einer erneuten Abfrage drei bzw. sechs Jahre später.
Führung als entscheidender Faktor

Den „Einfluss von Führung auf das „well-being“ angestellter Tierärzt:innen“, Thema seiner Abschlussarbeit zum MBA, stellte Dr. Christian Wunderlich vor. Noch viel zu häufig wird dieses wichtige Instrument zur Verbesserung von Arbeitsklima und Mitarbeitendenzufriedenheit nicht erkannt oder nicht genutzt.
Regelmäßiger Austausch und Feedback, Klarheit in der Kommunikation, direkte Ansprache von Konflikten, wertschätzender gegenseitiger Umgang und aktive Förderung des Teamgefühls führen zunächst bei der Führungskraft selbst und darüber hinaus bei den Mitarbeitenden zu einem positiv assoziierten Führungsstil, der in einem „Health oriented leadership“ münden sollte.
Notdienst: „Wer kommt wann mit was?“
Leoni Wizenty lieferte zur aktuellen Notdienstproblematik interessante Erkenntnisse aus einer Praxis in Berlin-Charlottenburg. Unter dem Titel „Wer kommt wann mit was?“ untersuchte sie das Patientenaufkommen von Hunden und Katzen im Tages- und Nachtverlauf unter verschiedensten Aspekten.
Es kommen mehr Hunde als Katzen im Notdienst, häufigster Vorstellungsgrund sind gastrointestinale Symptome, mehr als 50% der erkrankten Tiere sind allerdings gar keine dringenden tiermedizinischen Notfälle. Auch Zusammenhänge zwischen Alter, Geschlecht und Rasse der tierischen Patienten und der Vorstellung im Notdienst wurden berücksichtigt. Zur Einordnung der Dringlichkeit der Behandlung stellte sie das Manchester Triage System (MTS) vor, welches seit 2008 auch an der Charité genutzt wird, und für die Veterinärmedizin modifiziert wurde.
Wertvolle Erkenntnisse

Abschließend ordnete Dr. Charlotte Jensen die wichtigsten Studien der vergangenen Jahre zu den Arbeitsbedingungen und der Arbeitszufriedenheit in der Tiermedizin ein. Neben den Dissertationen von Johanna Kersebohm (2016) und Maren Ewert (2018) berücksichtigte sie die gemeinsame Studie von BaT und dem Verbund unabhängiger Kleintierkliniken VUK aus dem Jahr 2021/2022.
Auch wenn, bedingt durch unterschiedliche Fragestellungen, die Vergleichbarkeit der Studien erschwert ist, lässt sich feststellen, dass, analog zur Humanmedizin, der Anteil an weiblichen, angestellt tätigen und in Teilzeit-arbeitenden Tiermedizinern kontinuierlich gestiegen ist. Das Gehalt verbessert sich zwar mit zunehmender Berufserfahrung und Qualifikation, liegt aber deutlich unterhalb vergleichbarer anderer akademischer Berufe und unterscheidet sich nicht wesentlich nach Tierart oder der Zugehörigkeit zu einer inhabergeführten Einheit oder zu den Corporates. Die Arbeitszufriedenheit korrelierte am stärksten mit „weichen“ Faktoren wie Vorhersehbarkeit, Gerechtigkeit, Anerkennung und Qualität der Führung.

In der Abschlussdiskussion betonte Prof. Doherr die Notwendigkeit weiterer Studien, um auch in Zukunft verlässlich wissenschaftlich fundierte Daten zu liefern, auf deren Grundlage der Wandel in der Tiermedizin dargestellt werden kann. Angesprochen auf Handlungsempfehlungen, die sich aus den Studien der Vergangenheit für unseren Berufsstand ableiten lassen, verwies er auf die Aufgabe seines Fachbereichs, den Stakeholdern die Informationen zu liefern, die notwendig sind, um daraus Erkenntnisse zu gewinnen und kluge Entscheidungen für die Zukunft zu treffen.