Notdienst aus Sicht der angestellten Tierärzt:innen
Aktuelle Diskussionen
In der aktuellen Notdienstdiskussion werden verschiedene Strategien und Konzepte vorgestellt, sei es das “Thüringer-Modell”, der von der LTK Schleswig-Holstein eingeschlagene Weg oder die in der Vetimpulse unter Federführung von Klaus Sommer, Korinna Kolbig, Ralf Michling und Carolin Deiner veröffentlichte Idee einer deutschlandweiten tierärztlichen Rettungsleitstelle.
Darüber hinaus wurde beim bpt-Kongress digital zum Thema diskutiert und der VUK veranstaltete eine Diskussionsrunde unter dem Titel “Notdienst-Gipfel”.
Bereitschaft ist vorhanden
Im Hinblick auf angestellte Tierärzt:innen wird in diesem Zusammenhang häufig deren Bereitschaft, sich am Notdienst zu beteiligen, in Frage gestellt.
Dem ist nicht so. In der gemeinsamen Studie “Arbeitsbedingungen und Berufszufriedenheit angestellter Tierärzt:innen 2020” von BaT und VUK signalisierten die Kolleg:innen klar ihre Bereitschaft, Notdienst leisten zu wollen.
Demgegenüber gaben allerdings über 50% an, bisher für Nacht‑, Wochenend- oder Notdienste keinerlei Zulagen zu erhalten, wobei diese für Nachtdienste sogar gesetzlich verankert sind. Die Bereitschaft, Notdienst zum Nulltarif zu leisten, besteht nicht.
Gründe für den Ausstieg aus der Praxis
Aus Praxen und besonders Kliniken wird uns immer wieder von Mitgliedern berichtet, dass Berufsanfänger:innen und Interns in Präsenz die Aufrechterhaltung des Notdienstes gewährleisten. Oftmals ohne ausreichende Einarbeitung, ohne angemessene Bezahlung und mit Hemmungen, die erfahrenen, besser bezahlten Kolleg:innen des Hintergrunddienstes zu Hilfe zu rufen.
Dieses Geschäftsmodell ist häufig aufgrund langer Dienste nicht arbeitszeitgesetzkonform. Zudem stellt es einen Widerspruch in sich dar, wenn die Berufseinsteiger:innen auf der einen Seite die ersten sechs Monate wegen angeblicher mangelnder Kenntnisse schlecht bezahlt werden, aber nach kürzester Zeit die anstrengende und anspruchsvolle Maximalversorgung schwer erkrankter Notfallpatienten übernehmen sollen. Schlimmstenfalls führt dies durch Überforderung zur Abwanderung aus dem Beruf.
Gesetzliche Grundlagen
Das Heilberufe-Kammergesetz und die daraus resultierenden Berufsordnungen sehen in der Mehrzahl eine Pflicht zum Notdienst für „alle niedergelassenen Tierärzt:innen” vor. Der Ruf nach Änderung der Formulierung in „alle praktizierenden Tierärzt:innen” wird laut.
Grundsätzlich ist, wie oben erwähnt, die Bereitschaft von Seiten der Angestellten vorhanden, das gültige Arbeitszeitgesetz setzt hier jedoch zu Recht enge Grenzen. So stehen Kolleg:innen am nächsten Tag durch Einhaltung der vorgeschriebenen Ruhezeit nicht für die Arbeit zur Verfügung, was beim allgemeinen Personalmangel kaum ausgeglichen werden kann.
Die Kooperation von BTK und bpt mithilfe eines ad hoc-Arbeitskreises “Arbeitszeitgesetz” auf politischer Ebene eine Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes nur für Tierärzt:innen zu erreichen, scheint nach der Bundestagswahl unrealistischer denn je. Die Bestrebungen, durch die Höherstellung europäischen Rechts über deutsches Recht, eine Lockerung der Bestimmungen zu erreichen, bleibt vage.
Vielmehr sollte bezüglich einer Änderung der Berufsordnungen die Verpflichtung von Kliniken, die von Corporates betrieben werden, zum Notdienst vorangetrieben werden. Damit würden die inhabergeführten Einheiten entlastet und die Maximalversorgung sichergestellt, während, wie bei den Notdienstmodellen mit zentraler Rufnummer vorgesehen, Praxen die Basisversorgung und in der mittleren Kategorie besser ausgestattete Praxen oder Kliniken komplexere Fälle übernehmen.
Kräfte bündeln
Das Patientenaufkommen muss durch zentrale Rufnummern und Leitstellen kanalisiert und durch Triage vorsortiert werden.
Ergänzend zur mit kompetenten Ansprechpartner:innen besetzten Leitstelle kann die Telemedizin als Möglichkeit genutzt werden, Patienten, die nicht notfallmäßig versorgt werden müssen, im Vorfeld auszusortieren.
Die anspruchsvolle Logistik der Leitstellen sollte zunächst lokal in Clustern erprobt, von den Kammern subventioniert und idealerweise später bundesweit etabliert werden.
Die Versorgung der tierischen Patienten muss durch niedergelassene Tierärzt:innen in Praxen, inhabergeführte Kliniken sowie Corporates und die dort jeweils angestellten Tierärzt:innen gewährleistet werden. Da mittlerweile die Mehrheit der Tierärzt:innen in Deutschland im Angestelltenverhältnis arbeitet, wird es ohne diese Berufsgruppe nicht möglich sein, einen funktionierenden Notdienst aufrechtzuerhalten.
Die Finanzierung ist durch die “Notdienst-Pauschale” und die verbindliche Abrechnung des erhöhten Gebührensatzes im Notdienst möglich – von der Möglichkeit der Abrechnung zum vierfachen Satz sollte, wenn nötig Gebrauch gemacht werden, um eine attraktive Vergütung des notdienstleistenden Personals sicherzustellen.
Die Rolle angestellter Tierärzt:innen
Der rechtssichere Einsatz angestellter Tierärzt:innen im Notdienst ist nur im Rahmen von Tarifverträgen möglich, wie in allen anderen notdienstleistenden Berufen auch.
Durch Tarifverträge werden die notwendigen Rahmenbedingungen zu den Arbeitszeiten und zu einem attraktiven Verdienst mit Zulagen für die Mitarbeiter festgelegt. Auch der Einsatz in reinen Nachtkliniken, wie es sie z.B. in UK gibt, kann so für einzelne Kolleg:innen eine überlegenswerte Alternative sein.
Der starre Rahmen des Arbeitszeitgesetzes macht einen 24-Stunden-Notdienst nur in einem Dreischichtsystem möglich, was in vielen Einheiten eine hohe Frequenz an Diensten nach sich zieht. Die Ermöglichung von längeren Schichten als derzeit zulässig in Verbindung mit einer festgeschriebenen Vergütung, Zuschlägen und Freizeitausgleich würde die Einsatzhäufigkeit senken und die Attraktivität dieser Sonderschichten erhöhen.
Als einziger tariffähiger Berufsverband der angestellten Tierärzt:innen in Deutschland laden wir die Arbeitgeber:innen ein, sich zu organisieren, z.B. in einem Verbund tarifwilliger Praxen, Kliniken oder TGZs, um die Tiermedizin voranzubringen und die Rahmenbedingungen von Anstellungsverhältnissen neu zu verhandeln.
Die Patienten sind vorhanden, der Stellenwert des Tieres in der Gesellschaft ist so hoch wie nie, Tierkrankenversicherungen und Telemedizin bieten neue Möglichkeiten. Finanzielle Spielräume eröffnen sich in Form der „Notdienst-GOT“ und einer adäquaten Anpassung der GOT, um unseren Berufsstand aus der Ecke der prekären Beschäftigungen zu holen, damit wir erreichen, was wir sein wollen:
Ein freier, medizinischer Beruf mit langem, anspruchsvollem Studium, hoher fachlicher Expertise und ausgezeichneten Verdienstmöglichkeiten, auch für angestellte Tierärzt:innen.
Nur mit dieser Perspektive kann der Abwanderung aus dem Beruf begegnet werden.
Dr. Elisabeth Brandebusemeyer,
2. Vorsitzende des Bund angestellter Tierärzte e.V.