NUR ein Artikel im Lokalteil einer Tageszeitung? „Schluss mit rund um die Uhr“
‚Tierklinik Werl hat bald nicht mehr 24 Stunden am Tag geöffnet‘. Von vielen Tierbesitzern und überweisenden Kollegen aus der Region wahrscheinlich mit Bedauern oder Missmut registriert, aber hingenommen.
Aber ist das nur ein Einzelfall? Was kommt da wahrscheinlich in Zukunft auf die Tierärzte zu? Und welche Kritik wird dort zwischen den Zeilen vor allem an den angestellten Tierärzten geübt?
Hier der Artikel und unsere Stellungnahme dazu:
Stellungnahme des Bunds angestellter Tierärzte e.V.:
Tierklinik gibt Ihren Status auf, weil der Nachwuchs mit dem richtigen ‚Idealismus‘ fehlt!
In dem Artikel „Schluss mit rund um die Uhr“ vom 11.09.2017 im Soester Anzeiger berichteten die Inhaber der Tierklinik Werl, dass sie leider Ihren Status als Tierklinik aufgeben müssen. Sie können den 24-Stunden-Notdienst, der eine der Voraussetzung dafür ist, sich als Tierklinik bezeichnen zu dürfen, vor allem aus personellen Gründen nicht mehr stemmen.
Leider ist das in Deutschland kein Einzelfall. Es kommt gerade sozusagen zu einem „Tierkliniksterben“.
Fehlender Nachwuchs
Was sind die Gründe? In dem Artikel wird kurz und knapp dargestellt, dass es “schlichtweg an Nachwuchs fehlt, der zu Nachtschicht und Wochenendarbeit bereit ist”.
In Deutschland gibt es fünf Universitäten an denen Veterinärmedizin studiert werden kann. Jedes Jahr absolvieren ca. 1000 Tierärzte und Tierärztinnen ihr Staatsexamen. Und das seit Jahren unverändert. Warum fehlt es dann in immer mehr Kliniken und Praxen an Nachwuchs?
Generation “Y”
Jetzt lässt sich die Situation mit der vielfach gescholtenen Generation Y erklären, die angeblich nur von 9–17 Uhr arbeiten möchte. So auch im Artikel. Mit dieser Einschätzung werden jedoch viele Punkte, die in der Tierärzteschaft nun doch etwas anders sind als in anderen Branchen, außer Acht gelassen.
Nichteinhaltung von Gesetzen
Das eigentliche Problem ist nicht die fehlende Bereitschaft Nacht- und Notdienste zu machen. Betrachtet man Umfragen unter Studierenden und Absolventen, gibt es einen Großteil, der sehr gerne Nacht- und Notdienste leisten möchte. Aber – und natürlich gibt es jetzt die ‚Abers‘ – Tierärzte/-innen möchten auch, dass dabei geltende Gesetze, wie das Arbeitszeitgesetz eingehalten werden bzw. auch ein Tierarzt/-ärztin ist als Arbeitgeber dazu verpflichtet, sich an geltende Gesetze zu halten. Und das Arbeitszeitgesetz gibt sehr klare Vorgaben, wie viele Stunden am Tag gearbeitet werden dürfen und wie viele Stunden als Ruhezeit eingehalten werden müssen. Selbst wenn man mit sogenannten Bereitschaftszeiten arbeitet, benötigt man eine entsprechende Anzahl an Mitarbeitern die einen Schichtdienst aufrechthalten können. Und natürlich sollte der Arbeitgeber diese Mitarbeiter für diese Dienste auch angemessen bezahlen. Und da sind wir beim zweiten ‚Aber‘: Die Tierärzte/-innen müssen eben dafür auch angemessen bezahlt werden.
Unangemessene Vergütung
‚Aber man muss das doch aus Liebe zum Tier machen und den entsprechenden ‚Idealismus’ mitbringen!‘ denken da viele. Ja, die meisten Tierärzte/innen haben sehr viel Idealismus. Allerdings muss man schon sagen: Leider haben zu viele Tierärzte/innen zu viel Idealismus, denn die Gehaltssituation in der Veterinärmedizin ist vor allem im Vergleich zu den humanmedizinischen Kollegen katastrophal. Die Gehaltsempfehlung für eine/n Tierarzt/-ärztin im ersten Jahr liegt aktuell bei 2200€ brutto. Die humanmedizinischen Kollegen steigen mit 4400€ brutto ein. Eine aktuelle Untersuchung hat gezeigt, dass 10% aller selbständigen Tierärzte/innen nicht einmal den Mindestlohn verdienen und der Anteil bei den angestellten Tierärzten/innen ist noch höher. Man wählt also diesen Beruf sicher nicht, um reich zu werden. Aber man muss auch sich und seine Familie davon ernähren können.
Und seien Sie ehrlich zu sich, würden Sie bei einem Arzt erwarten, dass er unentgeltlich Notdienste im Krankenhaus machen soll, weil er doch Arzt geworden ist, um Menschen zu helfen? Oder würden Sie einem Lehrer nur noch den Mindestlohn zahlen, weil er das doch aus Liebe zu den Kindern macht? Übertrieben? Nein, eben nicht. Eine Vielzahl der angestellten Tierärzte sieht keinen Cent für die geleisteten Notdienste.
Tierärztinnen mit Kind
Und ein nicht zu vernachlässigender Punkt, der in dem Artikel auch am Rande zur Sprache kam, sind Tierärztinnen mit Kindern. Circa 80% der Veterinärmediziner/innen, die derzeit studieren und das Studium abschließen sind weiblich. Und ja, es ist immer noch so, dass die Frauen die Kinder bekommen und selbst, wenn sie dann in Ihren Beruf zurückkehren wollen und selbst wenn sie dann Dienste ‚schieben‘ wollen, wo sollen denn dann die Kinder in der Zeit hin? Dann soll der Mann eben drauf aufpassen?! Und wenn der auch im Schichtdienst arbeitet? Selbst wenn er ‚nur‘ von 9–17 Uhr arbeitet, macht es die aktuelle Betreuungssituation für Kinder, Tierärztinnen fast unmöglich in einer Tierklinik zu arbeiten. Das kann nur in einigen Ausnahmefällen erreicht werden, wenn die Tierklinik die Möglichkeit hat, auch Teilzeitkräfte in Schichtdienste mit einzubinden. Und das ist personalintensiv und teuer!
Fazit
Das alles zusammen führt dazu, dass viele Tierärzte schon nach wenigen Jahren gefrustet und ausgebrannt sind und sich Jobs in anderen Bereichen suchen und somit Tierkliniken nur noch schwer Mitarbeiter finden. Selbst wenn sie sich bemühen angemessen zu bezahlen und gute Schichtdienstpläne ausarbeiten.
Die Entscheidung der Tierklinik Werl ist dementsprechend bedauerlich, aber nachvollziehbar.
Was machen die Humanmediziner dann anders? Das deutsche Gesundheitssystem finanziert sich komplett anders und es gibt Tarifverträge. Diese gibt es für Tierärzte bisher nicht. Dort werden unter anderem Gehälter besser geregelt und Möglichkeiten für eine flexiblere Arbeitszeitregelung geschaffen. Der ‚Bund angestellter Tierärzte e.V.‘, quasi das Pendant zum Marburger Bund bei den Humanmedizinern, hat sich genau aus diesem Grund 2016 gegründet. Er möchte auf diese Probleme aufmerksam machen und die Situation der Tierärzte verbessern. Denn ansonsten wird man in Zukunft mit seinem kranken Tier noch viel weitere Wege in Kauf nehmen müssen. Vor allem in ländlichen Gegenden.
Der Vorstand des Bunds angestellter Tierärzte e.V.
Dr. Christian Wunderlich
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