Schwanger — und nun?
Ein Artikel von angestellten Tierärzt:innen, die auch Eltern sind
Es ist DER Dauerbrenner in der Tiermedizin, insbesondere in Praxis und Klinik: „Frauenüberschuss“ und die damit verbundenen Herausforderungen für das Verhältnis von Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden, für das Team und den Praxisalltag- und nicht zuletzt — für die Mütter selbst.
Familienplanung in der Tiermedizin: ein heißes Eisen
Dass praktizierende Tierärztinnen in den meisten Fällen mit Bekanntgabe der Schwangerschaft ins Beschäftigungsverbot geschickt werden, ist für die Arbeitgeber:innen eine anspruchsvolle organisatorische Herausforderung: plötzlicher Personalausfall, Verwaltungsaufwand, Änderung der Dienstpläne, Überlastung des Teams, Suche nach adäquatem Ersatz etc. Aber auch für die angestellte, schwangere Kollegin sind die Perspektiven schwer zu planen. Nicht selten stehen die Frauen unter erheblichem Druck, möglichst schnell wieder an den Arbeitsplatz zurückzukehren, um „am Ball zu bleiben“. Gleichzeitig stellt sich die Frage nach einer möglichen weiteren Familienplanung: Wann ist der günstigste Zeitpunkt für die Familie selbst und für die Vereinbarkeit mit dem Berufsleben oder der geplanten beruflichen Laufbahn? Das Thema „Familienplanung“ scheint in der Tierärzteschaft — für Arbeitgebende wie auch Arbeitnehmende — immer noch ein heikles Thema zu sein.
Elternwerden und Elternsein sind elementare Bausteine unserer Gesellschaft
Kinder zu bekommen und groß zu ziehen ist eine gesellschaftlich relevante Arbeit und sollte nicht allein auf den Schultern der zugehörigen Eltern lasten. Care-work oder zu Deutsch Versorgungsarbeit ist auch Arbeit, auch wenn sie nicht entlohnt wird. Eine Gesellschaft braucht Nachkommen. Die zugrunde liegenden Bedingungen für diese Aufgabe müssen von der Gesetzgebung derart geschaffen werden, dass sie gleichermaßen für Arbeitnehmende und Arbeitgebende akzeptabel und umsetzbar sind. Arbeitgebende aller Berufssparten müssen sich auf die gleiche Art und Weise darauf einrichten, dass Elternwerden und Elternsein zum Leben dazugehört. Das sollte ihr Beitrag zum Wohle der Gesellschaft sein.
Die biologischen Gegebenheiten lassen sich nicht ändern und auch nicht immer genau planen, dennoch können beide Seiten versuchen, längere Abwesenheiten aus dem praktischen Arbeitsalltag bestmöglich für alle zu gestalten. Wesentlich hierbei ist die Vorbereitung. Gegenseitiges Verständnis, Offenheit, Verlässlichkeit und Flexibilität sind sicherlich gute Wegbegleiter, um durch Schwangerschaft und Stillzeit zu kommen und das Thema Familienplanung unverkrampfter anzugehen.
Lösungsorientierte Vorschläge zu Einsatzmöglichkeiten während der Schwangerschaft
Wie kann man Tierärztinnen im schwangerschafts- oder stillbedingten Beschäftigungsverbot unter Berücksichtigung der Gefährdungsbeurteilung also ganz konkret sinnbringend im Betrieb einsetzen? Wir haben (teils aus eigenen Erfahrungen) Möglichkeiten zusammengestellt, die wir bewusst der Diskussion mit Arbeitgebenden hinsichtlich Praktikabilität, Nutzen und Umsetzbarkeit stellen wollen. Gerade die Digitalisierung und die Telemedizin eröffnen neue Möglichkeiten und Handlungsoptionen.
- Ausbildung / Einarbeitung von nachfolgenden oder weniger erfahrenen Kolleg:innen bzw. Studierenden in Hospitation oder PJ als Mentor:in (ohne direkten Kontakt zum Tier), ggf. auch chirurgische Ausbildung per Assistenz / theoretische Weiterbildung sofern unbedenklich, Telefonhintergrund bei Notdiensten
- Qualitätsmanagement und Prozessoptimierung in der Praxis: praktische Aus- und Weiterbildung der TfA´s, Beschwerdemanagement, Hausapotheke, Einführung neuer Produkte/ Equipment; evtl. tierärztliche Betreuung In-House-Labor (je nach Arbeitsplatz-Beurteilung)
- Öffentlichkeitsarbeit: Außenwirkung: Homepagepflege, z.B. durch Fachtexte, Aufklärungsarbeit, Aktualisierung der Teamvorstellung, Leistungsangebot, Akquise neuer Kundschaft auf Social Media etc.
- Entlastung des Tierärzte-Teams: Dienstpläne / Urlaubseinteilung, Telefon (Befundbesprechung für die Kolleg:innen), Beratungen (Haltungs- und Futterberatungen, Großtierpraxis: Herdenmanagement, Laboranalysen, Fütterung etc.), Abfangen von administrativen Aufgaben: Vertreteranfragen, In-House- Einweisungen (Futter, In-House-Geräte, neue Geräte, Medikamente, Apps); ggf. Durchführung von Bewerbungsgesprächen / Vorauswahl, Betreuung neuer Mitarbeiter:innen bei der Einarbeitung, Verfassen von Ausschreibungen bzw. Stellenangeboten
- Notdienstringe: Organisation / Koordination / Diensteinteilung / Telefontriage / Videosprechstunde
- fachliche Telefonanfragen/Telemedizin, Emailanfragen (ausführliche Zweitmeinungen, Befundung von Röntgenbildern, Überweisung in Kliniken etc.)
Die Tiermedizin braucht Innovation, um Tierärztinnen im Beruf zu halten
Sicherlich sind die Vorschläge nicht für jede Betriebsgröße, ‑art und ‑struktur umsetzbar. Die arbeitsrechtlichen Vorgaben für Schwangere müssen jederzeit eingehalten werden. Vielmehr geht es aber darum, Impulse zu geben, wie auch eine schwangere oder stillende Tierärztin effektiv im Team einsetzbar sein kann.
Das angestaubte Credo „Wir setzen Sie dann einfach hinter die Anmeldung“ oder „Wir sehen uns dann nach der Elternzeit wieder!“ muss ersetzt werden durch innovative Lösungen. Nicht zuletzt bleibt die Kollegin so Teil des Teams, es geht so weniger Fachwissen verloren und kann weiterhin als Ressource genutzt werden — auch wenn die Kollegin aktuell und befristet nicht „am Tier“ arbeitet. Durch mobile Arbeitsplätze, Zugriff auf digitale Patientenverwaltung und Telefonsystem und durch die Teilnahme an Teambesprechungen können zudem Überstunden für andere Kolleg:innen eingespart, die gegenseitige Wertschätzung gesteigert und mittelfristig auch die Basis für eine Integration in den Betriebsablauf geschaffen werden (ggf. auch schon für die Zeit bevor das Kind einen festen Betreuungsplatz hat).
Es ist alternativlos in Zukunft neue Wege zu gehen, um dem gravierenden Personalmangel und der Abwanderung von Kolleg:innen aus der kurativen Tätigkeit mit Eintritt der Mutterschaft entgegen zu wirken.
Wie läuft es in anderen tiermedizinischen Bereichen?
Das Gremium „Elternsein“ des BaT will zukünftig auch den Arbeitsalltag und praktische Lösungsansätze aus weiteren Feldern der Tiermedizin beleuchten.
Wir freuen uns über Erfahrungsberichte von Kolleg:innen aus anderen tierärztlichen Arbeitsfeldern: Welche Lösungsmodelle gibt es im Tierschutz, im Labor, an den Schlachthöfen, bei der Arbeit im Zusammenhang mit Tierseuchen?
Schreiben Sie uns gerne eine E‑Mail an info@bundangestelltertieraerzte.de.