Weiblich, verheiratet, mit Kinderwunsch — ein Nachteil auf dem Arbeitsmarkt?
Ungleichbehandlung, sexistische Äußerungen und indiskrete Fragen nach der Familienplanung sind leider auch in der Tiermedizin an der Tagesordnung. Mit Sicherheit tragen diese ihren Teil dazu bei, dass junge Tierärzt:innen der praktischen Tiermedizin den Rücken kehren bzw. gar nicht erst in den Praxen ankommen.
Wir möchten über diese Problematik aufklären und beginnen mit den Erlebnissen einer jungen Tierärztin. Wir bedanken uns herzlich für die Einsendung dieses persönlichen Fallberichts.
Kinderwunsch?
“Es dürfte sich herumgesprochen haben, dass im Bewerbungsgespräch die Frage nach der Familienplanung unzulässig ist. Trotzdem wurde mir genau diese Frage bei einem Probearbeiten gestellt. Zudem war ich mehrfach Zeugin, wie Arbeitgeber:innen die direkte Nachfrage nach der Familienplanung umschiffen, um dann im vermeintlich vertraulichen Geplauder Informationen zu den Lebensumständen, wie Familienstand, Alter und sogar Kinderwunsch der Bewerbenden zu erhalten.
Wenn einem die Frage nach dem Kinderwunsch direkt gestellt wird, gibt es verschiedene Möglichkeiten darauf zu reagieren. Ich entschied mich damals für die ausweichende Formulierung “das ist derzeit für mich noch kein Thema”. Alternativ steht es natürlich jeder/m frei, deutlich zu sagen, dass man die Frage deplatziert oder gar unverschämt findet. Was dann aus der laufenden Bewerbung wird, bleibt offen.
Viel schwieriger gestaltet es sich aber, in der offenen Konversation mit dem/r potenziellen neuen Chef:in, die eigenen Lebensumstände so bedeckt zu halten, dass einem daraus kein Nachteil erwächst. Woher sollte man auch wissen, aus welchen Informationen welche Schlüsse gezogen werden?”
Berufliche Perspektiven
“Festzuhalten ist, dass aufgrund des Alters und/oder Familienstandes einer Tierärztin über ihren Kinderwunsch zu mutmaßen, übergriffig und sexistisch diskriminierend ist.
Ich erlebte tatsächlich schon zweimal, dass junge Tierärztinnen ein deutlich schlechteres Jobangebot erhielten als ihre männlichen Mitbewerber oder als ältere Mitbewerberinnen, bei denen angenommen wurde, die Familienplanung sei aufgrund des Alters abgeschlossen.
Für die Bewerberin ist es schwer, diese Benachteiligung zu erkennen, da diese zumeist auf reinen Mutmaßungen aufbaut und vermutlich im seltensten Fall offen kommuniziert wird, anders als eventuell fachliche Diskrepanzen.”
Normalisierung statt Stigmatisierung
“Wie kann man also in unserem Berufsstand dafür Sorge tragen, dass Familiengründung nicht mehr stigmatisiert, sondern flächendeckend normalisiert wird? Besonders in Zeiten, in denen die Tiermedizin überwiegend “weiblich” ist — man schaue sich dazu die Zahlen der Geschlechterverteilung der Studienabgänger:innen an. Das Thema ist aktueller denn je. Welche weiteren Strukturen und Möglichkeiten können geschaffen werden, damit die Schwangerschaft einer Angestellten ein weniger großes Problem für den/die Arbeitgeber:in darstellt?”
Keine leicht zu lösende Problematik
Es ist absolut einleuchtend, dass der plötzliche Wegfall einer Tierärztin durch eine Schwangerschaft eine große Belastung für den/die Arbeitgeber:in darstellt, insbesondere in kleinen Praxen und noch verstärkt durch den derzeitigen Mangel an Arbeitnehmer:innen auf dem Markt. Eine offene Kommunikation des Kinderwunsches mit dem/der Arbeitgeber:in setzt großes Vertrauen voraus, kann für die Suche nach einem/r Nachfolger:in aber sehr hilfreich sein. Es besteht allerdings das Risiko, dass es zu den bereits genannten Benachteiligungen kommt oder durch diese Offenheit erst gar kein Arbeitsverhältnis zustande kommt.
Es stellt sich die Frage, ob die schwangere/stillende Tierärztin zwangsläufig komplett aus der Praxistätigkeit ausscheiden muss? Junge Unternehmen, wie FirstVet und Dr.SAM zeigen gerade, dass die Nachfrage nach virtueller, tierärztlicher Hilfestellung ganz klar vorhanden ist. Die Triage, also die Entscheidung, ob ein Tier in der Praxis vorgestellt werden muss oder ob eine (selbstverständlich kostenpflichtige) virtuelle Beratung ausreicht, kann völlig ohne jegliches Gefahrenpotential durch eine schwangere Kollegin durchgeführt werden, ebenso wie die Beratung selbst.
Eine Familie muss auch ernährt werden
Eine ganz grundsätzliche Tatsache, nicht nur in der Tiermedizin, besteht darin, dass in der Regel die Frau den Großteil der Elternzeit übernimmt und sich ganz klassisch um Haushalt und Nachwuchs kümmert, während der Partner häufig nur zwei Monate zuhause bleibt und für das Einkommen der Familie sorgt. Zum einen ist dies natürlich dem Umstand geschuldet, dass viele Mütter ihre Babys stillen und der Mann dies nicht ohne weiteres übernehmen kann. Doch auch später, wenn der Nachwuchs beginnt feste Nahrung aufzunehmen und die Stillzeiten weniger werden, der Vater also leichter einspringen könnte, wird dies in der Regel nicht praktiziert. Die Frage nach dem Warum ist komplex. Als ein Puzzleteil ist aber sicher die gender pay gap zu nennen. Auch im Jahr 2021 werden Frauen für die gleiche Arbeit schlechter bezahlt als Männer. Da die Tiermedizin zunehmend weiblicher wird, trifft sie der Wegfall der jungen Mütter mit voller Wucht. Wir plädieren daher für eine dem akademischen Studium angemessene Bezahlung (BaT Standards) für Tierärzte und Tierärztinnen gleichermaßen, so dass überhaupt die finanzielle Möglichkeit gegeben ist, die Elternzeit anders aufzuteilen als bisher üblich.
Unser neues Gremium Elternsein
Wir haben uns entschlossen, das Gremium Elternsein zu gründen, in dem dieses und weitere Themen rund um das Elternsein in der Tiermedizin bearbeitet werden. Interessierte Mitglieder, die mit uns über die beidseitigen Herausforderungen diskutieren und Lösungsansätze erarbeiten möchten, sind herzlich eingeladen, dabei zu sein.
In manchen Fällen kommt es leider nicht zu einer zufriedenstellenden Einigung zwischen Arbeitnehmerin und Arbeitgeber:in. Über unsere Partnerkanzlei Althaus (tiermedrecht) erhalten unsere Mitglieder eine kostenlose rechtliche Erstberatung zu allen Fragen rund um Schwangerschaft, Mutterschutz, Schwangerschafts- und stillbedingtes Beschäftigungsverbot und Elternzeit.
Zur Kontaktaufnahme im internen Mitgliederbereich geht es hier.