Aller Anfang ist schwer
Sind die Universitätsabsolventinnen deshalb Anfängerinnen, Frischlinge, Assistentinnen oder gar Anfangsassistentinnen? Zugunsten des Leseflusses wurde bei personenbezogenen Bezeichnungen in diesem Artikel bewusst die weibliche Form gewählt. Es sind jedoch durchweg alle Geschlechter gemeint.
(Anfangs-)Assistentin – ein abwertender Begriff?
Ein wiederkehrendes Thema in unserer Branche befasst sich mit der Betitelung frisch gebackener Kolleginnen. Immer wieder stolpern wir in aktuellen Stellenanzeigen über Gesuche nach einer „Anfangsassistentin“ bzw. über die Formulierung „auch Anfangsassistentinnen sind bei uns willkommen“. Gemeint sind damit tierärztliche Kolleginnen, die verallgemeinernd und subjektiv über noch unzureichende praktische Fähigkeiten verfügen, um sie von Beginn an gewinnbringend in der eigenen Praxis einsetzen zu können.
Suggeriert wird dadurch allerdings, dass sie von vornherein als inkompetent gelten, weil sie eben eine „Anfangsassistentin“ sind und damit der „allwissenden Chefin“ weit unterlegen.
Diese Bezeichnung sorgt zu Recht für Unmut auf Seiten der Kolleginnen, die sich sichtbar herabgewürdigt fühlen. Es entsteht der Eindruck, dass sie dankbar dafür sein dürfen, wenn sie in einer Praxis „auch als Anfangsassistentinnen willkommen sind“.
Manch einer fragt sich wohl: „Sind wir denn nun richtige Tierärztinnen oder sind wir nur die geduldete (weil kostengünstige), inkompetente Assistenz… dazu in Letzterer auch noch ganz am Anfang?“
Woher kommt diese Bezeichnung?
Bei solch ausartender Betitelung eines bestimmten Anteils einer ganzen Berufsgruppe fragt man sich nach der korrekten Definition einer Universitätsabsolventin mit Approbation. Wer hat den Begriff „Anfangsassistentin“ so etabliert und vor allem, wer genau ist damit gemeint? Sprechen wir über Tierärztinnen innerhalb einer gewissen Zeitspanne nach Erhalt ihrer Approbation? So wie über den veralteten Begriff der AIP´ler (Arzt im Praktikum — galt damals für das erste Jahr nach Beendigung des Studiums)? Oder gilt man immer dann als Anfangsassistentin, wenn man gewisse praktische Fähigkeiten (noch) nicht beherrscht? Und wenn dem so ist, wer definiert diese Fähigkeiten? Bin ich dann in den tierärztlichen Kompetenzhimmel aufgestiegen, wenn ich eine Katze selbstständig kastrieren kann oder ist es doch eher die Kreuzbandruptur mittels TPLO? Und bin ich als angestellte Tierärztin eigentlich immer automatisch „Assistentin“?
Der vorangegangene Abschnitt verdeutlicht mit einer kleinen Prise Ironie die enorme Subjektivität dieser Betitelung. Es gibt keine allgemeingültige Definition für die Anfangsassistentin. Weder fachliche noch zeitliche Kriterien vermögen diesen Begriff eindeutig zu beschreiben. Aber was sind wir denn dann? Und warum wird, wenn der Ausbildungsstand von Kolleginnen beschrieben werden soll, seit Jahrzehnten verallgemeinernd ein herabwürdigender Begriff benutzt, der noch nicht einmal exakt zuzuordnen ist?
Zur Frage, wer oder was wir denn sind: Das regelt in Deutschland ganz eindeutig die Tierärztliche Approbationsverordnung. Jede Universitätsabsolventin mit Approbation in der Tasche darf sich „Tierärztin“ nennen. „Tierärztin“ steht hier also für eine Berufsbezeichnung, völlig unabhängig von Berufserfahrung und postuniversitären Kompetenzen.
Warum der Begriff „Anfangsassistentin“ auf dem Arbeitsmarkt im Jahre 2021 nichts mehr verloren hat
Auf dem Arbeitsmarkt werden von Unternehmen unterschiedliche Fachkräfte mit unterschiedlichen Qualifikationen gesucht. Natürlich macht es Sinn, dies in der Stellenanzeige gezielt zu formulieren: eine Vogelklinik kann mit einer Rinderpraktikerin eher wenig anfangen.
Neben der Erwähnung des Fachgebietes ist auch die Beschreibung der individuell gewünschten Qualifikation hilfreich. Möchte ich meinen OP neu besetzen, suche ich eben eine Chirurgin. Suche ich eine „Allrounderin“, so kann auch dies gezielt in der Stellenanzeige formuliert werden.
Ebenso helfen Zusatzinformationen, wie die offenkundige Suche nach einer Fachtierarztqualifikation oder nach gewissen praktischen Fertigkeiten (zum Beispiel eine zwingend beherrschte OP-Technik, selbstständiges Führen der Sprechstunde o.Ä.).
Und zu guter Letzt gehört natürlich auch ein eventueller Bewerbungszeitraum oder eine Befristung der Stelle sowie ggf. die Formulierung gewünschter Softskills und auch das eigene Angebot an die Bewerberin zu einer informativen Stellenanzeige.
Praxisinhaberinnen sollten ihre eigenen Wünsche und Anforderungen möglichst präzise formulieren. Dadurch kann sich jede Bewerberin ein möglichst genaues Bild von dem angebotenen Arbeitsplatz machen und dann selbst entscheiden, ob ihre Qualifikation ausreicht.
Aber warum hält sich der Begriff der Anfangsassistentin seit so langer Zeit in der Praxis?
Neben der Problematik der Stellenanzeigen gibt es ebenso die weiterhin gebräuchliche Bezeichnung der Anfangsassistentin in der Praxis. Neben der „Chefin“ wird die angestellte Tierärztin also häufig einfach so zur Assistentin degradiert – völlig unabhängig von ihrer eigenen Expertise. Rein sachlich ist diese Bezeichnung aber völlig falsch und irreführend für die Patientenbesitzerin: die angestellte Tierärztin ist genauso Tierärztin wie die Praxisinhaberin selbst. Sie kann Behandlungen (bei vorhandener fachlicher Qualifikation) ebenso selbstständig durchführen, wie die Praxisinhaberin und ist fachlich nicht zwangsläufig unterlegen. Im Gegenteil: Häufig ist sogar eine fachliche Überlegenheit oder Ergänzung der Fall.
Was bewirkt der Begriff (Anfangs-)Assistentin bei Angestellten und Kundinnen?
Die Praxisinhaberin schadet der angestellten Tierärztin als Mensch, indem ihr öffentlich vor den Patientenbesitzerinnen nicht auf Augenhöhe begegnet wird. Dadurch leidet die Arbeitszufriedenheit enorm und das Selbstwertgefühl der Mitarbeiterin wird geschädigt. Eine langfristige Bindung der Angestellten kann nicht erreicht werden, so dass sich die Praxisinhaberin schlussendlich durch einen ständigen Mitarbeiterinnenwechsel selbst Schaden zufügt.
Andererseits fügt sie auch der Praxisreputation erheblichen Schaden zu. Neben den negativen persönlichen Aspekten für die angestellte Tierärztin kommt es vor allem in der Kundenwahrnehmung zu einem erheblichen Qualitätsgefälle und zu einer Vertrauensdiskrepanz zu Lasten der angestellten Tierärztin. Auch hier spürt die Praxisinhaberin die negativen Konsequenzen selbst, denn wenn nur ihr die alleinige Kompetenz in der Praxis zugesprochen wird, macht sie sich unabkömmlich und der Teufelskreis aus mangelndem Freiraum, Unzufriedenheit und Überarbeitung spitzt sich zu. Manch Chefin fragt sich dann, warum sie sich überhaupt für teures Geld eine angestellte Tierärztin „zugelegt“ hat. Dem ist entgegenzusetzen, dass sich eine derart agierende Inhaberin selbst in diese Situation hineinmanövriert: zu guter Letzt fordert die zahlende Klientel nur noch eine „Chefarztbehandlung“ — Überlastung und Mitarbeiterinnenfrust statt Freiraum sind vorprogrammiert.
Zusammenfassend sollten wir als Berufsstand…
…einen kollegial freundlichen Umgangston miteinander pflegen. Herabwürdigende Betitelungen tragen dazu nicht bei. Zudem ist das Zeitalter der strengen Hierarchien vorbei.
…auf Augenhöhe miteinander kommunizieren: Wir alle haben eine universitäre Ausbildung durchlaufen und könnten uns viel mehr ergänzen, indem Jung von Alt, aber auch Alt von Jung lernt.
…Anforderungen in Stellenanzeigen möglichst präzise formulieren und allgemein anerkannte Qualifikationen benennen (z. B. selbstständiges Führen der Sprechstunde erforderlich oder FTA-Titel gewünscht).
…darauf achten, die fachliche Außenwirkung der Praxis so einheitlich wie möglich wirken zu lassen. Damit schaffen wir für die Arbeitgeberin Freiraum, für die angestellte Tierärztin Entwicklungsmöglichkeiten und Anreiz und damit für alle langfristig mehr Zufriedenheit.
Britta Levenig für den BaT.
Gemeinsam mehr erreichen.
Wie steht es eigentlich aktuell um die Arbeitsbedingungen angestellter Tierärzte und Tierärztinnen? Die Ergebnisse unserer in Kooperation mit dem VUK durchgeführten Umfrage werden am Donnerstag, den 25.03.2021 vorgestellt. Sie möchten gerne an der digitalen Pressekonferenz teilnehmen? Zur Anmeldung geht es hier.