Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft — Wo liegen die Unterschiede?
Rufbereitschaften und Bereitschaftsdienste sind gängige Dienstmodelle in der kurativen Tiermedizin. Wo liegen die Unterschiede? Welche Regelungen sieht das Arbeitszeitgesetz vor und welche Vereinbarungen wurden im 1. Tarifvertrag des BaT dazu getroffen?
Bereitschaftsdienst
Ein Bereitschaftsdienst liegt vor, wenn sich die Arbeitnehmenden zu Praxiszwecken an einer von den Arbeitgebenden bestimmten Stelle innerhalb oder außerhalb der Praxis aufzuhalten haben, um im Bedarfsfall die Tätigkeit sofort aufnehmen zu können.
Zu beachten ist, dass im Durchschnitt maximal 49% der Zeit des Bereitschaftsdienstes aus Arbeit bestehen dürfen. In einem nächtlichen Bereitschaftsdienst von 20h bis 8h darf durchschnittlich also knapp unter 6 Stunden gearbeitet werden, der Rest der Zeit steht zur freien Verfügung.
Zeiten des Bereitschaftsdienstes zählen zur Arbeitszeit und werden komplett auf die höchstzulässige Wochenarbeitszeit von 48 Stunden angerechnet, da die Arbeitnehmenden während dieser Zeit in betriebliche Belange einbezogen sind.
Die Vergütung von Bereitschaftsdienst
Da der komplette Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit gilt, ist dieser vergütungspflichtig.
Wie in anderen Branchen üblich, empfiehlt der BaT in den BaT Standards für Arbeitsleistungen an Samstagen zwischen 13 und 21 Uhr, an Sonntagen und Feiertagen außerdem Zuschläge, die zusätzlich zum regulären Stundenlohn gezahlt werden. Diese wurden auch im Tarifvertrag mit dem TGZ Lichtenau vereinbart (siehe Tabelle unten).
Regelungen im Tarifvertrag zum Bereitschaftsdienst
Durch den Tarifvertrag wird unter bestimmten Voraussetzungen ermöglicht, die tägliche Arbeitszeit in einem festgelegten Rahmen zu verlängern. Der Tarifvertrag für das TGZ Lichtenau erlaubt 16-stündige Dienste, wenn in diese Zeit „in erheblichem Umfang Bereitschaftsdienst fällt“. Ein Beispiel: Die Tierärztin beginnt um 16 Uhr ihren Spätdienst, arbeitet ein paar Termine ab und bleibt über Nacht vor Ort, bis sie um 8 Uhr morgens nach der Übergabe ihren Dienst beendet.
Ein Bereitschaftsdienst am Wochenende oder an Feiertagen darf sogar bis zu 18 Stunden dauern, dann muss allerdings die komplette Zeit als Bereitschaftsdienst geplant werden.
Aufgrund der extremen räumlichen Begrenzung der diensthabenden Person wird im Bereitschaftsdienst die komplette Zeit als Arbeitszeit angerechnet.
Folgende Regelungen wurden vereinbart:
§9 (1) Die Tierärztin/ Der Tierarzt ist verpflichtet, sich auf Anordnung der Arbeitgebenden außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer von den Arbeitgebenden bestimmten Stelle aufzuhalten, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen (Bereitschaftsdienst). Die Arbeitgebenden dürfen Bereitschaftsdienst nur anordnen, wenn zu erwarten ist, dass zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung (<50% Arbeitsanfall) überwiegt. Bereitschaftsdienst wird zu 100% als Arbeitszeit vergütet.
(2) Wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Bereitschaftsdienst fällt, kann unter den Voraussetzungen einer a) Prüfung alternativer Arbeitszeitmodelle, b) Belastungsanalyse gemäß § 5 ArbSchG durch einen Arbeitsmediziner und c) ggf. daraus resultierender Maßnahmen zur Gewährleistung des Gesundheitsschutzes (…) die tägliche Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes (…) über acht Stunden hinaus auf bis zu 16 Stunden verlängert werden.
(3) Wenn in die Arbeitszeit an Samstagen, Sonn- und Feiertagen regelmäßig und in erheblichem Umfang Bereitschaftsdienst fällt, kann unter den Voraussetzungen einer a) Prüfung alternativer Arbeitszeitmodelle, b) Belastungsanalyse gemäß § 5 ArbSchG und c) ggf. daraus resultierender Maßnahmen zur Gewährleistung des Gesundheitsschutzes (…) die tägliche Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes (…) über acht Stunden hinaus auf bis zu 18 Stunden verlängert werden, wenn die komplette Arbeitszeit als Bereitschaftsdienst abgeleistet wird und dadurch für die einzelne Tierärztin / den einzelnen Tierarzt mehr Wochenenden und Feiertage frei sind.
(4) Wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Bereitschaftsdienst fällt, kann im Rahmen des § 7 Abs. 2a ArbZG und innerhalb der Grenzwerte nach den Absätzen 2 und 3 eine Verlängerung der täglichen Arbeitszeit über acht Stunden hinaus auch ohne Ausgleich erfolgen. Die wöchentliche Arbeitszeit darf dabei durchschnittlich bis zu 56 Stunden betragen.
Rufbereitschaft
Die Rufbereitschaft ist dadurch gekennzeichnet, dass sich die Arbeitnehmenden an einem Ort ihrer Wahl aufhalten dürfen. Sie müssen allerdings jederzeit telefonisch erreichbar sein, um ihre Arbeit auf Abruf beginnen zu können. Die Rufbereitschaft wird rechtlich als Freizeit betrachtet und zählt weder arbeitszeitrechtlich noch vergütungsrechtlich zur Arbeitszeit. Grundsätzlich darf in einer Rufbereitschaft nur in Ausnahmefällen Arbeit anfallen.
Sobald eine Arbeitsleistung erbracht wird, also z.B. ein mit der Arbeit verbundenes Telefonat geführt wird, zählt dies zur Heranziehungszeit, also der Zeit, zu der die Arbeitnehmenden während dieses Dienstes zur Arbeit herangezogen werden. Die Heranziehungszeit gilt komplett als Arbeitszeit und ist in vollem Umfang bei der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit zu berücksichtigen.
Für Diskussionen sorgt häufig die Frage, in welcher Zeitspanne die Arbeitnehmenden am Arbeitsort einzutreffen haben. Eine klare, rechtliche Vorgabe gibt es dazu nicht.
Das Bundesarbeitsgericht hat allerdings entschieden, dass eine zeitliche Vorgabe von 20 Minuten zwischen Abruf und Arbeitsaufnahme nicht zulässig ist. Bei einer solchen Zeitvorgabe sei der Arbeitnehmer faktisch gezwungen, sich in unmittelbarer Nähe des Arbeitsplatzes aufzuhalten, um die Arbeit bei Bedarf fristgerecht aufnehmen zu können. Dies sei mit dem Wesen der Rufbereitschaft nicht zu vereinbaren (BAG, Urt. v. 31.1.2002 — 6 AZR 214/00).
Der EuGH bestätigt diese Einschätzung in einem Vorlageverfahren im Jahr 2021. Der Marburger Bund geht davon aus, dass auch eine Eintreffzeit von 30 Minuten nicht zulässig sein dürfte. Der BaT empfiehlt in den BaT Standards das Erreichen der Arbeitsstätte innerhalb von 45 Minuten und hat dies auch im 1. Tarifvertrag so vereinbart.
Die Vergütung von Rufbereitschaften
Ob und in welchem Umfang Rufbereitschaft bezahlt wird, hängt von den Regelungen im Arbeitsvertrag ab, jedoch muss, auf alle geleisteten Arbeitsstunden berechnet, der Mindestlohn eingehalten werden. Zu empfehlen ist, wie in den BaT Standards und im Tarifvertrag umgesetzt, die Zahlung eines prozentualen Anteils des arbeitsvertraglich vereinbarten Stundenlohns für die Zeit, in der keine Arbeitsleistung erbracht wird, die aber durch das Bereithalten der Arbeitskraft auf Abruf innerhalb einer angemessenen Zeitspanne, eine Einschränkung für die Arbeitnehmenden darstellt.
Die Heranziehungszeit im Rahmen der Rufbereitschaft gilt komplett als Arbeitszeit und ist dementsprechend zu vergüten.
Regelungen im Tarifvertrag zur Rufbereitschaft
Folgende Vereinbarungen wurden im Tarifvertrag des BaT mit dem TGZ Lichtenau zur Rufbereitschaft getroffen.
§9 (7) 1Die Tierärztin/ Der Tierarzt hat sich auf Anordnung der Arbeitgebenden außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer den Arbeitgebenden anzuzeigenden Stelle aufzuhalten, um auf Abruf die Arbeit aufzunehmen (Rufbereitschaft). 2Die Rufbereitschaftsdienstleistenden verpflichten sich, innerhalb von 45 Minuten am Arbeitsplatz eintreffen zu können. 3Die Arbeitgebenden dürfen Rufbereitschaft nur anordnen, wenn erfahrungsgemäß lediglich in Ausnahmefällen Arbeit anfällt. 4Durch tatsächliche Arbeitsleistung innerhalb der Rufbereitschaft kann die tägliche Höchstarbeitszeit von zehn Stunden (§ 3 ArbZG) überschritten werden (§ 7 ArbZG).
(8) Die maximale Länge der Rufbereitschaft darf 24 Stunden nicht überschreiten.
Auch die Vergütung der Rufbereitschaft wird im Tarifvertrag klar geregelt:
§10 (3) 1Für die Rufbereitschaft wird ein anteiliger Stundenlohn für jede Stunde der Rufbereitschaft des jeweiligen Tabellenentgelts bezahlt. 2Sie beträgt für die Tage Montag bis Freitag 35% des Tabellenentgelts, für Samstag, Sonntag sowie für Feiertage 45% des auf eine Stunde entfallenden Anteils des Tabellenentgelts der jeweiligen Entgeltgruppe und Stufe (nach Anlage A). 3Hinsichtlich der Arbeitsleistung wird jede einzelne Inanspruchnahme innerhalb der Rufbereitschaft mit einem Einsatz am Einsatzort einschließlich der hierfür erforderlichen Wegezeiten auf eine volle Stunde gerundet. 4Für die Inanspruchnahme wird das Entgelt für Überstunden sowie etwaige Zeitzuschläge nach Absatz 1 gezahlt.
Tabelle Zeitzuschläge
a | für Überstunden | 15 v.H. |
b | für Nachtarbeit | 30 v.H. |
c | für Sonntagsarbeit | 35 v.H. |
d | bei Feiertagsarbeit | |
— ohne Freizeitausgleich | 150 v.H. | |
— mit Freizeitausgleich | 50 v.H. | |
e | für Arbeit | |
- am 24. Dezember ab 6 Uhr | 35 v.H. | |
- am 31. Dezember ab 6 Uhr | 35 v.H. | |
f | für Arbeit an Samstagen ab 13 — 21 Uhr | 30 v.H. |
Bereitschaftsdienst | Rufbereitschaft | |
---|---|---|
Aufenthaltsort | An einem von den AG vorgegebenen Ort | An einem Ort der Wahl, jederzeit telefonisch erreichbar, Arbeit muss auf Abruf begonnen werden können |
Arbeitszeit | Die gesamte Dienstzeit zählt als Arbeitszeit. | Nur die Heranziehungszeit zählt als Arbeitszeit |
Ruhezeit | Nach einem Bereitschaftsdienst müssen 11 Stunden Ruhezeit gewährleistet werden. | Wird die Rufbereitschaft in Anspruch genommen, beginnt die Ruhezeit von vorne. |
Vergütung | Die gesamte Zeit gilt als Arbeitszeit und wird vergütet. Zuschläge bei Sa.-, So.- und Feiertagsarbeit werden vom BaT empfohlen. Nachtzuschläge sind gesetzlich vorgeschrieben. | Nur die geleisteten Stunden müssen vergütet werden (Zuschläge siehe Bereitschaftsdienst), ein prozentualer Anteil des Stundenlohns für das Bereithalten wird vom BaT empfohlen. |
Fazit
Ohne alternative Regelungen im Rahmen eines Tarifvertrages sind Arbeitgebende und Arbeitnehmende grundsätzlich an die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes gebunden. Ausnahmen für die Tiermedizin existieren im Arbeitszeitgesetz nicht. Eine Flexibilisierung der Arbeitszeit ist laut Schreiben von Anette Kramme, Parlamentarische Staatssekretärin im BMAS, im Auftrag von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil an den BaT, derzeit nicht vorgesehen.
Wie das Beispiel des 1. Tarifvertrages zwischen BaT und dem TGZ Lichtenau zeigt, ist die Vereinbarung eines solchen Vertrages und damit die Anpassung der Arbeitszeiten an das jeweilige Klinik-/Praxismodell, bei gleichzeitig festgelegtem Ausgleich für die angestellten Kolleg:innen, durchaus realisierbar.
Sie interessieren sich ebenfalls für einen Tarifvertrag in Ihrer Praxis/Klinik? Dann kontaktieren Sie uns gerne unter info@bundangestelltertieraerzte.de.
Informationsveranstaltung zum 1. Tarifvertrag
Am 12.06. fand ein interaktives Webinar zum 1. Tarifvertrag statt, in dem der Vorstand und das Gremium Tarifvertrag des BaT und die Tarifvertragspartnerin Nicole Schreiter, Inhaberin, des TGZ Lichtenau, vom gemeinsamen Weg bis hin zum Vertragsabschluss berichtet haben. Neben der Präsentation ausgewählter Inhalte des Tarifvertrages wurden auch alle Fragen der Teilnehmenden beantwortet. Die Aufzeichnung der Veranstaltung ist hier zu finden.
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