Bin im Dienst
Unbestritten ist, dass die flächendeckende tiermedizinische Versorgung klar geregelt und vollumfänglich abgedeckt sein muss. Aber wie kann den Bedürfnissen der tiermedizinischen Branche begegnet und dennoch rechtskonform gearbeitet werden?
Über die Arbeitszeiten im tierärztlichen Dienst.
Rückblick: was gewerkschaftliche Bestrebungen erreicht haben
Durch verschiedene gewerkschaftliche Zusammenschlüsse sowie staatliche Bestrebungen konnte in den letzten Jahrzehnten einiges zum Wohl der Arbeitnehmenden etabliert werden. Die Schaffung von Mindestruhezeiten, Höchstarbeitszeiten und Schutzvorschriften bei Nachtarbeit, um nur einige zu nennen, sind nicht selbstverständlich, sondern das Ergebnis langjähriger Arbeitskämpfe und Tarifverhandlungen. Im Deutschen Gewerkschaftsbund wurde beispielsweise bereits in den 1970er Jahren über eine verkürzte Arbeitswoche diskutiert. Erst seit 1990 ist der Samstag schulfrei und in vielen Branchen kein Arbeitstag mehr, obwohl er rechtlich gesehen als Werktag gilt.
Regelungen des Arbeitszeitgesetzes
Zweck des Gesetzes
Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) gilt seit 1994 für alle Arbeitnehmenden in der Bundesrepublik Deutschland. Es löste die seit 1938 geltende Arbeitszeitordnung (AZO) ab, die phasenweise tägliche Arbeitszeiten von bis zu 12 Stunden ermöglichte.
“Zweck des Gesetzes ist es 1., die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer […] bei der Arbeitszeitgestaltung zu gewährleisten und die Rahmenbedingungen für flexible Arbeitszeiten zu verbessern sowie 2., den Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung der Arbeitnehmer zu schützen.”
Wie aktuell der Zweck des Gesetzes ist, sehen wir in Zeiten von ständiger Erreichbarkeit und hohen Krankheitsständen daran, dass das Thema Mental Health in aller Munde ist.
Tägliche Arbeitszeit
Im zweiten Abschnitt, §3 heißt es:
“Die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer darf acht Stunden nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden.”
Für Notdienst-leistende Branchen sind Arbeitstage von 8 Stunden natürlich nicht ausreichend, um die Rundum-Versorgung von Patienten zu gewährleisten. Gerade für kleine Einheiten, die in der Tiermedizin überwiegen, sind Schichtsysteme aufgrund der geringen Mitarbeiterzahl schwer bis gar nicht zu realisieren.
Der Gesetzgeber ist sich aber im Klaren, dass auf die Bedürfnisse mancher Branchen spezifisch eingegangen werden muss. So heißt es in §7 zu abweichenden Regelungen:
“(1) In einem Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrags in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung kann zugelassen werden,
- abweichend von § 3
- die Arbeitszeit über zehn Stunden werktäglich zu verlängern, wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst fällt, […].”
Das Arbeitszeitgesetz sieht also grundsätzlich vor, dass Abweichungen erfolgen können, es wird jedoch explizit auf die Regelung über Tarifvertrag oder Dienstvereinbarung verwiesen. Eine Flexibilisierung der Zeiten ohne entsprechendes Entgegenkommen der Arbeitgebenden in anderen Punkten ist nicht vorgesehen.
Ruhezeiten
Klar geregelt sind die Ruhephasen, die der Erholung von der Arbeit dienen. Niemand kann ununterbrochen anspruchsvolle, qualitativ hochwertige Arbeit leisten, ohne zwischendurch Pausen zu machen. Arbeitsmedizinische Untersuchungen belegen die Zunahme von psychosomatischen Beschwerden bei verkürzten Ruhezeiten. Auch ist von einem erhöhten Risiko für Unfälle auszugehen.
So heißt es im Gesetz:
Ҥ 4 Ruhepausen
Die Arbeit ist durch im voraus feststehende Ruhepausen von mindestens 30 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs bis zu neun Stunden und 45 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als neun Stunden insgesamt zu unterbrechen. Die Ruhepausen nach Satz 1 können in Zeitabschnitte von jeweils mindestens 15 Minuten aufgeteilt werden. Länger als sechs Stunden hintereinander dürfen Arbeitnehmer nicht ohne Ruhepause beschäftigt werden.”
Ҥ 5 Ruhezeit
(1) Die Arbeitnehmer müssen nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden haben.
(2) Die Dauer der Ruhezeit des Absatzes 1 kann in Krankenhäusern und anderen Einrichtungen zur Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen, […] in der Landwirtschaft und in der Tierhaltung um bis zu eine Stunde verkürzt werden, wenn jede Verkürzung der Ruhezeit innerhalb eines Kalendermonats oder innerhalb von vier Wochen durch Verlängerung einer anderen Ruhezeit auf mindestens zwölf Stunden ausgeglichen wird. […]”
Die Möglichkeit der Kürzung der Ruhezeit um bis zu eine Stunde gilt nicht für tierärztliche Praxen und Kliniken.
Was ist außerhalb des Arbeitszeitgesetzes möglich?
Eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung für Haus- und Nutztiere anzubieten stellt die Tierärzteschaft vor teils große Herausforderungen. Wie ist es möglich, die gesetzlichen Vorgaben einzuhalten und das Ganze finanziell machbar zu halten?
In der Humanmedizin sind die Anforderungen ähnlich, auch wenn die Versorgung von Patienten in der Regel durch wesentlich größere Kliniken erfolgt. Durch Tarifverträge des Marburger Bundes sind hier Klinik-spezifische Möglichkeiten geschaffen worden, Ärzte im Schichtsystem legal zu beschäftigen. Dabei ist eine wöchentliche Arbeitszeit von bis zu 58 Stunden möglich, sofern Bereitschaftsdienste mit einbezogen werden und die Beschäftigten der Opt-out-Erklärung zustimmen. Dabei handelt es sich um eine freiwillige, einzelvertragliche Zustimmung zur Mehrarbeit.
Verkürzung von Ruhezeiten
Die Ruhezeit kann laut ArbZG nur in bestimmten Branchen um 1 Stunde auf 10 Stunden verkürzt werden, sofern dies wie beschrieben ausgeglichen wird. In Ausnahmefällen kann um eine weitere Stunde verkürzt werden, wobei die Kürzung sowie der Ausgleichszeitraum im Arbeitsvertrag bzw. Tarifvertrag geregelt sein muss.
Länge der Schichten
Die gesetzlich festgelegte tägliche Höchstarbeitszeit liegt bei 8 Stunden. Für Ärzte, die tarifgebunden an den Marburger Bund arbeiten, sind Ausnahmen möglich: bei Vollarbeit kann bis zu 10 Stunden täglich gearbeitet werden, bei Schichtarbeit bis zu 12 und in Kombination mit Bereitschaftsdienst sogar bis zu 24 Stunden am Stück (einschließlich Pausen).
Umsetzung im 1. BaT-Tarifvertrag
Der erste Tarifvertrag des BaT bietet nun die Möglichkeit, den Spagat zwischen Patientenversorgung und Arbeitnehmerschutz hinzubekommen.
Beim Thema Dienstzeiten wird eine 38-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich zugrunde gelegt:
(1) 1Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt ausschließlich der Pausen durchschnittlich 38 Stunden wöchentlich. 2Die regelmäßige Arbeitszeit kann auf fünf Tage, aus notwendigen betrieblichen/ dienstlichen Gründen auch auf sechs Tage verteilt werden.
(2) Für die Berechnung des Durchschnitts der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ist ein Zeitraum von sechs Monaten zugrunde zu legen.
Dies ist für die Tiermedizin ein Novum! Zum Vergleich: In der Metallindustrie, im Groß- und Einzelhandel und der Druckindustrie ist die 38-Stunden-Woche schon Mitte der 1980er Jahre eingeführt worden.
(4) 1Die tägliche Arbeitszeit kann im Schichtdienst auf bis zu zwölf Stunden ausschließlich der Pausen ausgedehnt werden. 2In unmittelbarer Folge dürfen nicht mehr als vier Zwölf-Stunden-Schichten und innerhalb von zwei Kalenderwochen nicht mehr als acht Zwölf-Stunden-Schichten geleistet werden. 3Solche Schichten können nicht mit Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft kombiniert werden.
(5) Tierärzt:innen sind im Rahmen begründeter betrieblicher/ dienstlicher Notwendigkeiten zur Leistung von Sonntags‑, Feiertags‑, Nacht‑, Wechselschicht‑, Schichtarbeit sowie — bei Teilzeitbeschäftigung aufgrund arbeitsvertraglicher Regelung und mit ihrer Zustimmung — zu Bereitschaftsdienst, Rufbereitschaft, Überstunden und Mehrarbeit verpflichtet.
(6) Die Arbeitnehmenden haben nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit Anspruch auf eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden.
Die Einhaltung der gesetzlichen Ruhezeit bleibt im BaT-Tarifvertrag bestehen, damit die Möglichkeit zur ausreichenden Erholung für alle Arbeitnehmenden gegeben ist. Die maximale Obergrenze von 12 Arbeitsstunden ist im Sinne der Arbeitnehmenden festgelegt worden und darf nicht überschritten werden.
Sie haben noch Fragen? Dann diskutieren Sie live am 12.6. mit uns!
Kostenlose Informationsveranstaltung am 12.06.2024
Am 12.06. fand ein interaktives Webinar zum 1. Tarifvertrag statt, in dem der Vorstand und das Gremium Tarifvertrag des BaT und die Tarifvertragspartnerin Nicole Schreiter, Inhaberin, des TGZ Lichtenau, vom gemeinsamen Weg bis hin zum Vertragsabschluss berichtet haben. Neben der Präsentation ausgewählter Inhalte des Tarifvertrages wurden auch alle Fragen der Teilnehmenden beantwortet. Die Aufzeichnung der Veranstaltung ist hier zu finden.
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