Liebe jetzige und >next generation> Tierärzt:innen
Dr. Elisabeth Brandebusemeyer, die 1.Vorsitzende des BaT, hat als Reaktion auf zwei Leserbriefe in der Zeitung VETimpulse eine Stellungnahme (veröffentlicht in Ausgabe 7/23) verfasst, in der sie auf die Kritikpunkte eingeht, die der neuen Generation Tierärzt:innen entgegengebracht wurden.
Ursprung der Diskussion ist der Artikel “Umbruch im Studium und Praxis für ein neues Berufsbild” (VETimpulse 1/23), in dem mögliche Ursachen für den derzeit herrschenden Fachkräftemangel in der Tiermedizin beleuchtet wurden. In zwei Leserbriefen (VETimpulse 5/23) übten erfahrene Tierärztinnen Kritik an den jüngeren Kolleginnen. Es wurde fehlende Ethik, Verantwortung und Einsatzwillen im Notdienst bemängelt und dazu aufgefordert, das Jammern einzustellen.
Stellungnahme des BaT
Liebe jetzige und „next Generation“ Tierärzt:innen,
in einer Diskussion zwischen Menschen verschiedener Generationen ist es zunächst einmal entscheidend, zu akzeptieren, dass unterschiedliche Standpunkte legitim sind und ohne Generationswechsel kein Fortschritt möglich ist. Oft findet in der Folgegeneration sogar eine Gegenbewegung zur vorangegangenen statt, in der alte Werte in Frage gestellt werden.
Was ist wichtiger, Tierschutz oder Arbeitsschutz? Kann man Ethik, Moral und Verantwortung einfordern, wenn diese den Mitarbeitenden gegenüber jahrzehntelang mit Füßen getreten wurden? Ist es „allgemeines Gejammere“, wenn man die Frage stellt, ob verantwortungsvolle Tiermedizin nur möglich ist mit Selbstausbeutung und Ausbeutung der Angestellten? Ist Selbstfürsorge egoistisch oder der Versuch, in einem langen, herausfordernden Berufsleben physisch und mental gesund zu bleiben?
Probleme müssen auf den Tisch
Ignorierte Missstände, wie die nicht-Akademiker-gerechte Bezahlung angestellter Tierärzt:innen und Tabus, wie die seit langem hohe Suizidrate unter Kolleg:innen, gehören angesprochen.
Ist die immer noch geäußerte Sorge, als Frau in unserem Beruf weniger erfolgreich zu sein, heute nicht mehr ernst zu nehmen? Wenn sich auch die Akzeptanz bei den Landwirten verbessert hat, ist es nach wie vor oftmals ein großer Spagat, Beruf und Familie zu vereinbaren. Dies führt zur massiven Abwanderung in nichtkurative Bereiche und verschärft den Fachkräftemangel.
Gründliche Einarbeitung und Führungskompetenz sind unverzichtbar
Was ist verkehrt daran, als Berufsanfänger:in eine gründliche Einarbeitung zu verlangen? Mut erwächst aus positiver Bestärkung, ja, man wächst an seinen Aufgaben. Die Kombination aus „Fehlerfreundlichkeit“ und Fehlermanagement durch die Chefetage bietet eine Möglichkeit zur Entwicklung für alle Mitarbeitenden. Das sind Führungsaufgaben, die verhindern können, dass junge Kolleg:innen aufgrund negativer Erfahrungen rasch die Praxen/Kliniken wieder verlassen.
Was geht der Klimawandel Tierärzt:innen an? Wir leben alle auf derselben Erde, aktuelle Krisen und globale Ereignisse betreffen die junge Generation deutlich länger als ältere Kolleg:innen. Warum sich darüber lustig machen? Müssen die vorangegangenen Generationen sich nicht eher vorwerfen lassen, besorgniserregende Entwicklungen ignoriert zu haben?
Fehlen guter Arbeitsbedingungen und Mentalität der Selbstausbeutung sind die Ursachen der Krise
Der Vorwurf, die junge Tierärztegeneration würde die Tiermedizin vor die Wand fahren, ist unhaltbar. Diesen Vorwurf muss sich eher die jetzt etablierte Generation machen. Durch die Mentalität des bedingungslosen Bedienens der Patientenerwartung hat die Wertschätzung unseres Berufes in der Gesellschaft Schaden genommen.
Das Fehlen fixer, fairer Rahmenbedingungen für Angestellte hat eine massive Abwanderung hochqualifizierter Tierärzt:innen aus der kurativen Tätigkeit verursacht.
Das sind die Gründe für die aktuelle Notdienstkrise, nicht die „Verwöhntheit“ der jungen Tierärztegeneration. Das „vor die Wand fahren“ haben die Vorgänger:innen zu verantworten.
Engagement der bisherigen Generation verdient Wertschätzung
Aber auch diese Kritik ist unreflektiert und würdigt nicht das große Engagement der bisherigen Generationen für die Tiermedizin. Gerade Frauen wollten beweisen, dass sie genauso tüchtige Veterinäre sind, wie ihre männlichen Kollegen und haben dabei die gängigen Rollenmodelle übernommen. Mit dem Unterschied, dass hinter den Kollegen, die 60 bis 80 Stunden in der Praxis gearbeitet haben, häufig eine Frau stand, die familiär den Rücken freigehalten hat. Diesen Luxus hatten und haben viele Kolleginnen bis heute nicht. Auch das Lebenswerk der Inhaber:innen, die mit viel Know-how und Engagement große Praxen und Kliniken aufgebaut haben, verdient Wertschätzung, tatkräftiges Personal und eine Nachfolge, die es engagiert weiterführt.
Die Sorge der Babyboomer, jederzeit ersetzt werden zu können, wenn den Patientenbesitzer:innen nicht preislich und servicetechnisch sehr weit entgegengekommen wird, hat zu einer Rund-um-die-Uhr-Tätigkeit unter Missachtung eigener und familiärer Bedürfnisse geführt.
Hinterfragen gängiger Praxis ist Voraussetzung für Veränderung
Heutzutage ist die Situation eine andere. Durch größere Einheiten und neue digitale Formate sind andere, zeitgemäße Arbeitszeitmodelle möglich, durch Tierärztemangel, Kleintierboom und neue GOT sind höhere Gehälter und bessere Arbeitsbedingungen realisierbar. Hier den jungen Tierärzt:innen den Rat zu geben oder einzufordern, „macht doch alles so wie wir“ ist wenig sinnvoll und bewirkt das Gegenteil dessen, was beabsichtigt ist.
Negative extrinsische Motivation macht jegliche vorhandene, oft sehr starke intrinsische Motivation zunichte.
Das Hinterfragen gängiger Praxis durch die nächste Tierärztegeneration ist dringend erforderlich, um positive Veränderungen und Fortschritt für unseren Berufsstand zu erreichen.