Verbesserungen für angestellte Tierärzt:innen — Realität oder Augenwischerei
In der Tiermedizin tut sich etwas, zweifelsohne, verglichen mit dem jahre- wenn nicht jahrzehntelangen Stillstand mit schlechten Arbeitsbedingungen und niedrigen Gehältern. Doch tut sich genug?
Die Behauptung allein bewirkt noch keine Veränderung, geschweige denn eine Verbesserung.
Wie groß ist die Veränderung wirklich?
Analog zum „Greenwashing“, bei dem das medienwirksame Pflanzen dreier heimischer Bäume vor dem Firmengebäude als „Beweis“ für die Klimaneutralität des Unternehmens herhalten soll, bewirkt das Aufstellen eines Tischkickers und das Einführen der „Duz-Kultur“ noch keine nachhaltige Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Gehälter.
Statt dieses „Nicewashing“ braucht es eine grundlegende Neuausrichtung unserer Branche mit dem Willen „alte Hüte“ abzulegen und Prozesse anders zu denken.
Neue Player ein Vorteil?
Neue Player am Markt sorgen für frischen Wind, aber dieser weht nicht zwangsläufig aus der richtigen Richtung für Arbeitnehmende. Verfolgt man Arbeitgeberbewertungsportale wie kununu oder Glassdoor, äußern sich angestellte Tierärzt:innen zunehmend kritisch über ihre Arbeitgebenden. Sicher passt nicht jeder Tiermediziner zu jeder Stelle und wird dort glücklich, die Fülle an sehr unzufriedenen Bewertungen, in der Regel mit daraus resultierender Eigenkündigung, ist jedoch erschreckend.
Sowohl Investoren angehörende Unternehmen als auch neue Anbieter, in der Regel nicht inhabergeführt, sondern mit Betriebswirtschaftlern in der Unternehmensleitung, werden bezüglich Verlässlichkeit, Arbeitsklima und Mitarbeiterführung massive Fehlleistungen attestiert. Stellenvermittlungsanbieter und Betreiber von Jobbörsen bescheinigen auf Nachfrage eine zunehmende Abwanderung aus diesen Unternehmen. Die Frage, ob inhabergeführte oder kleinere Praxen und Kliniken besser abschneiden, muss offenbleiben, da diese seltener bewertet werden, sicher auch aus Angst, dass hier die Anonymität weniger leicht gewährleistet werden kann.
Tiermedizin als Frauenberuf mitgedacht?
Der Zustrom weiblicher Studierender an die tiermedizinischen Fakultäten ist unverändert hoch. Die Lücke, die durch Auszeiten, Teilzeitarbeit und Abwanderung aus der kurativen Praxis und anderen Bereichen entsteht, ebenso. Schwangerschaft und Elternschaft bleiben weiterhin Privatvergnügen. Haltestrategien, Qualifizierungsmaßnahmen, attraktive Angebote für Wiedereinsteiger:innen, sprich das „Mitdenken“ dieser Lebensphase durch Arbeitgebende und der konstruktive Dialog, wie eine für beide Seiten befriedigende Vereinbarkeit aussehen kann, sind noch nicht ausreichend etabliert.
Über die sich ergebende Konsequenz, die Einzahlung zu geringer Rentenbeiträge mit der daraus resultierenden Gefahr von Altersarmut, wird noch nicht in ausreichendem Maße informiert, eine lösungsorientierte Herangehensweise an die Problematik wird bislang noch nicht entschieden genug vorangetrieben.
Die neue GOT als Motor für Verbesserungen?
Die Gebührenordnung wurde reformiert, Gehaltsempfehlungen der Berufsverbände wurden angehoben, aber werden sie auch umgesetzt?
Laut aktuellem TVD-Gehaltsreport 2024 haben lediglich 36% der befragten angestellten Tierärzt:innen seit November 2022 eine Gehaltserhöhung erhalten. Diese fiel mit 325€ im Mittel bescheiden aus und hätte nach Aussage von 73% derer, die sie bekommen haben, ohnehin angestanden. Nur 23% führen sie auf die GOT-Anpassung zurück.
Diese Zahlen belegen, dass die neue GOT mehr als eineinhalb Jahre nach ihrem Erlass bisher zu keiner oder nur zu einer geringfügigen Verbesserung der Einkommenssituation angestellter Tierärzt:innen geführt hat.
Auswirkungen von Corona und Inflation
Betrachtet man die Lohnforderungen von 8–10% in Branchen mit Tarifbindung, angesichts der hohen Inflationsrate in den vergangenen Jahren, um inflationsbereinigt auch einen Reallohnanstieg zu erreichen, nehmen sich die Anpassungen für Tierärzt:innen bescheiden aus und hinken der Teuerungsrate bereits wieder hinterher. Angehobene Einstiegsgehälter können auch nicht über eine fehlende bzw. willkürliche, nicht standardisierte, allein vom Arbeitgebenden festgelegte Progression hinwegtäuschen, die bei weitem nicht ausreicht, um Kolleg:innen im kurativen Bereich zu halten.
Wurden Coronaprämien in der Tiermedizin in nennenswertem Umfang gezahlt, auch um den Mitarbeitenden in unserem systemrelevanten Beruf für ihren Einsatz unter erschwerten Bedingungen Wertschätzung zu zollen?
Erhebungen darüber fehlen, wohl aber gibt es Informationen zur Streichung des Weihnachtsgeldes nach Übernahme durch Praxisnetzwerke.
Verbindliche Instrumente bleiben ungenutzt
(Schein)Angebote für mehr Mitsprache bei Gehältern und Rahmenbedingungen in Praxen/Kliniken, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Teile der Arbeitgebenden aktuell versuchen, die in anderen Branchen üblichen, starken Instrumente für mehr Mitbestimmung und verbesserte Teilhabe an der Gestaltung des eigenen Arbeitsumfeldes, auch in Zukunft zu verhindern. Augenscheinlich ist der Druck, Tarifverträge abzuschließen und Betriebsräte selbstverständlich zu dulden, noch nicht groß genug.
Beides sind verlässliche Instrumente, an denen sich positive Entwicklungen für die Arbeitnehmenden festmachen lassen. Sie sind transparent, garantieren Teilhabe und Mitbestimmung auf Augenhöhe und müssen die rein gefühlten bzw. behaupteten Verbesserungen ablösen, damit die Augenwischerei ein Ende hat. Nur so lassen sich wertvolle Mitarbeitende langfristig im Beruf halten.
Willen zu positiver Veränderung beweisen
Wichtige Schritte in die richtige Richtung, sind mit Gründung eines ersten Betriebsrates in der kurativen Tiermedizin und mit der Unterzeichnung des ersten BaT-Tarifvertrages am 1.6.2024 getan worden. Jetzt liegt es an allen Beteiligten innerhalb der Branche, zu beweisen, dass sich tatsächlich ein positiver, grundlegender, struktureller Wandel im Hinblick auf eine Verbesserung von Arbeitsbedingungen und Gehältern in der Tiermedizin vollzieht.