Die Situation von schwangeren und stillenden Tierärztinnen in Deutschland – eine qualitative Studie
Die Tierärztin Dr. med. vet. Lisa Ulmer-Stein untersuchte in ihrer Studie die momentane Umsetzung des Mutterschutzgesetzes für Tierärztinnen in Deutschland sowie die psychosozialen und beruflichen Folgen von Beschäftigungsverboten. Die Studie basiert auf 14 qualitativen Interviews mit Tierärztinnen aus verschiedenen Tätigkeitsfeldern. Dabei wurde auch die Situation selbstständiger Frauen betrachtet, da hier gesetzliche Regelungen nur eingeschränkt greifen. Ziel war es, die Auswirkungen auf die berufliche Selbstbestimmung, den Fachkräftemangel und die Karriereentwicklung zu analysieren.

Die Umsetzung des Mutterschutzgesetzes durch die Arbeitgebenden
Die Zufriedenheit mit der Umsetzung hängt stark von der Mitbestimmung bei der Aufgabenverteilung ab. In der Praxis erhielten alle Tierärztinnen in kurativer Praxis und im Schlachthof ein absolutes Beschäftigungsverbot, oft ohne Arbeitsplatzanpassung, da Risiken und Kosten als zu hoch eingeschätzt wurden. Dies führte zu negativen Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis und die berufliche Identität. Viele Zweifel an der Vereinbarkeit von Familie und Beruf führten zu Jobwechseln. Einige wünschten eine Arbeitsplatzgestaltung mit Mitbestimmung, was jedoch von den Arbeitgebenden abgelehnt wurde, aus Sorge vor rechtlichen Risiken.
Im Gegensatz dazu waren Tierärztinnen in anderen Bereichen, wie im Veterinäramt oder in der Forschung, meist zufrieden, da ihre Tätigkeiten individuell angepasst wurden und somit eine Weiterbeschäftigung ermöglicht wurde.
Selbstständige Tierärztinnen arbeiteten bis kurz vor der Geburt weiter und kehrten früh im Wochenbett in den Beruf zurück, da sie vom Mutterschutzgesetz nicht geschützt sind. Sie ergriffen eigenständig Schutzmaßnahmen, da es an beratender Unterstützung mangelt.
Gefährdungsbeurteilungen und der Wunsch nach Arbeitsfortsetzung
Nur wenige Tierärztinnen konnten ihre Arbeit nach Arbeitsplatzumgestaltung fortsetzen. Die Ablehnung durch Arbeitgebende führte zu einem Verlust an Selbstbestimmung und wurde als belastend empfunden. Einige verschwiegen ihre Schwangerschaft, um Beschäftigungsverbote zu vermeiden, und ergriffen eigenständig Schutzmaßnahmen. Die Unsicherheit bei Arbeitgebenden und die unzureichende Beratung durch die Tierärztekammern verstärken die Problematik. Büroarbeit wird als sichere Alternative angesehen, stößt jedoch auf Ablehnung bei den Schwangeren, da hierdurch der Tierkontakt fehlt, der für die Berufsgruppe von essentieller Bedeutung ist.
Selbstständige Tierärztinnen arbeiteten bis kurz vor der Geburt und kehrten früh im Wochenbett zurück, was gesundheitliche Folgen hatte. Bei Kontakt mit Gefahrstoffen wurden Risikomanagement und Schutzmaßnahmen eigenverantwortlich umgesetzt.
Folgen der Familiengründung für angestellte Tierärztinnen
Vor der Schwangerschaft arbeiteten 85 % der befragten Tierärztinnen in der kurativen Praxis, bezweifelten jedoch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Hauptprobleme sind ungünstige Arbeitszeiten, Überstunden, schlechte Bezahlung und hoher Druck. Viele wechseln das Berufsfeld oder kehren nach der Familiengründung nicht mehr in die Praxis zurück.
Beschäftigungsverbote während der Stillzeit werden als finanziell vorteilhaft, aber langfristig nachteilig für Gehalt und Karriere angesehen. Viele empfinden die Rückkehr in Teilzeit oder den Wechsel ins Veterinäramt als positiv. Die langfristige Perspektive in der kurativen Praxis wird von den meisten kritisch gesehen.
Folgen für das Familienleben von Selbstständigen
Selbstständige Tierärztinnen erleben die Familiengründung als besonders belastend. Hoher Leistungsdruck, Existenzängste und Bürokratie führen zu Stress. Viele arbeiten bis zur Geburt weiter, da sie vom Mutterschutzgesetz nicht erfasst sind und keine finanziellen Ausgleichsmöglichkeiten haben. Die Gründungskosten und der Fachkräftemangel erschweren die Praxisführung zusätzlich.
Viele denken über einen Rückzug aus der Selbstständigkeit nach, da die Unsicherheit im Umgang mit Schwangeren und die fehlende rechtliche Unterstützung die Situation verschärfen. Die Angst vor wirtschaftlichen Einbußen und gesundheitlichen Folgen ist groß.
Zentrale Ergebnisse
Wirtschaftliche und psychosoziale Folgen: Beschäftigungsverbote führen zum Verlust des Tierkontakts, was die berufliche Identität stark beeinträchtigt. Viele Tierärztinnen fühlen sich in ihrer Kompetenz zum Eigenschutz nicht ernst genommen, obwohl sie fundiertes Fachwissen besitzen.
Autonomieverlust: Die Interviews zeigten ein starkes Bedürfnis, negative Erfahrungen zu teilen. Der Zwang zur Arbeitsunterbrechung wird als Eingriff in die Selbstbestimmung empfunden, der auch psychisch belastet. Die selbstbestimmte Arbeitsfortsetzung während Schwangerschaft und Stillzeit und die Notwendigkeit von Ausstiegsstrategien, wenn dies nicht möglich ist, standen im Mittelpunkt dieser Studie. Durch den entstehenden Verlust des Tierkontakts wird die berufliche Identität stark gekränkt. Zudem werden hochqualifizierte Frauen mit Familienwunsch in ihrer Karriere und Selbstbestimmung eingeschränkt, obwohl sie über hohe Kompetenzen im Eigenschutz verfügen. Die strikte Umsetzung des Mutterschutzes („Null-Risiko-Politik“) drängt qualifizierte Frauen aus dem Beruf, während Arbeitgebende kaum Unterstützung oder alternative Lösungen zur Verfügung haben.
Fehlende Flexibilität und Unterstützung: Arbeitgebende zeigen häufig geringe Bereitschaft zur Anpassung der Arbeitsbedingungen. Unzureichende rechtliche Informationen führen zu vorschnellen Beschäftigungsverboten. Dies drängt qualifizierte Frauen aus der kurativen Praxis und verstärkt den Fachkräftemangel.
Rückzug aus dem Beruf: Nur eine der befragten Tierärztinnen sah sich langfristig in der kurativen Praxis. Mehrere schlossen eine Rückkehr aus, was auf einen besorgniserregenden Trend hinweist.
Ungleichgewicht im Mutterschutz: Während angestellte Tierärztinnen einem strengen Mutterschutz unterliegen, sind selbstständige Frauen kaum geschützt. Die Gesetzeslage benachteiligt beide Gruppen auf unterschiedliche Weise und muss reformiert werden.
Fazit
Die aktuelle Umsetzung des Mutterschutzes erschwert weibliche Berufsausübung und trägt zum Fachkräftemangel bei. Notwendig sind flexiblere Regelungen, bessere rechtliche Beratung und ein kooperativer Umgang mit Gefährdungsbeurteilungen – etwa nach Schweizer Vorbild. Die Gesetzgebung sollte insbesondere selbstständige Tierärztinnen stärker einbeziehen und europäische Modelle als Inspiration nutzen.
Über die Autorin

Dr. med. vet. Lisa Ulmer-Stein, geboren 1991 in Rosenheim, ist Tierärztin mit Schwerpunkt auf Wiederkäuern und Kleintieren. Nach dem Studium der Veterinärmedizin in Antwerpen und Gent (Belgien) promovierte sie an der Ludwig-Maximilian-Universität München mit einer qualitativen Studie zur beruflichen Situation schwangeren und stillenden Tierärztinnen (summa cum laude).
Auf Basis ihrer Forschung gründete sie eine Beratungsfirma, die tierärztliche Praxen und Kliniken bei der Umsetzung des Mutterschutzgesetzes unterstützt und eine Weiterbeschäftigung während Schwangerschaft und Stillzeit ermöglicht. Beruflich war sie mehrere Jahre in der kurativen Praxis tätig und arbeitet derzeit in Teilzeit in einer Kleintierpraxis in Nürnberg. Dr. Ulmer-Stein lebt mit ihrer Familie in Nürnberg und engagiert sich für familienfreundliche Arbeitsbedingungen in der Veterinärmedizin.
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